AM TACHELES: Fünf erstaunliche Details zur Geschichte des Areals in Berlin-Mitte

Katzen haben sieben Leben, so sagt man. Das trifft aber auch auf das Areal rund um das ehemalige Kunsthaus Tacheles an der Friedrichstraße, Ecke Oranienburger Straße, in Berlin-Mitte zu: als Kaufhaus Friedrichstraßenpassage, als Haus der Technik des Elektrokonzerns AEG, als Artistenschule, als Büroräume des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds, als Tanzschule, als Kino und schließlich als Kunsthaus. Jetzt bricht das achte Leben des Areals als neues Stadtquartier an. Wir haben für Sie fünf erstaunliche Details aus der wechselvollen Geschichte des Geländes zusammengetragen, die Sie so noch nicht kennen:

Zyklopenstil

Der Baustil der Friedrichstraßenpassage ging als „Zyklopenstil“ in die Kunstgeschichte ein. Nach dem Entwurf des Architekten Franz Ahrens entstand von 1907-1909 ein fünfgeschossiger Stahlbetonbau, der geschickt Warenhaus und Einkaufspassage kombinierte. Die bloßen Zahlen erheben das Gebäude zum Monumentalbau: 10.000 Quadratmeter Gebäudegrundfläche, 150 Meter Passagenlänge und ein 48 Meter hoher Kuppelraum mit einem Durchmesser von 28 Metern. Diese Monumentalität brachte dem Gebäude die zeitgenössische Bezeichnung „zyklopenhaft“ ein. Der Zyklopenstil wird in der Architektur als Aufbegehren gegen überlieferte Maßstäbe mittels Großkörperlichkeit definiert.

Die größte Rohrpostanlage Europas

Über die mit einer Länge von 21.000 Metern größte Rohrpostanlage Europas wurden in der Friedrichstraßenpassage mit Hilfe von 150 Einzelkassen eine Zentralkasse bedient. Ein für damalige Zeiten besonders innovativer Ansatz: Die vielen Geschäfte hatten sich als Vereinigung des Detailhandels zusammengetan und rechneten ihrem Umsatz über eine gemeinsame Kasse ab. Per Luftdruck wurde eine Patrone mit Geld und Kassenbon in wenigen Sekunden zur Zentralkasse befördert. Nach der Abrechnung wurde dann der Bon mit dem Wechselgeld auf gleiche Weise zurückbefördert. Auch architektonisch waren die Geschäfte nicht getrennt, wie sonst in einer Passage üblich, sondern ihre Räume gingen ineinander über. Das von Otto Markiewicz entworfene Geschäftsmodell scheiterte allerdings schon ein halbes Jahr nach Eröffnung. Kaufhausmogul Wolf Wertheim mietete im Jahr 1909 den Komplex an, um daraus ein Warenhaus zu machen, das bis 1914 Bestand hatte.

Blauer, roter und gelber Saal

Besondere Attraktion der Friedrichstraßenpassage waren die sogenannten Sondersäle. Sie sollten den Mietern die Möglichkeit geben, ihre Waren im besonderen Ambiente präsentieren zu können. So gab es unter anderem den blauen Saal, dessen Wände im unteren Teil mit blauem Samt bespannt waren. Der obere Teil des insgesamt 7,5 Meter hohen Raumes war mit modernen Silhyo-Platten aus Glasfluss verkleidet. Die hochwertige Innenausstattung wurde von einem Erker aus Bronze, Deckenbemalungen, Holzmosaikfenstern und Fenstern mit Bleiverglasung abgerundet.
Der rote Saal war raumhoch mit Wandvertäfelungen aus Mahagoniholz versehen und wurde durch eine ebenfalls in Mahagoni gehaltene Galerie ergänzt. Auch hier gab es einen Holzmosaikfußboden und eine reichverzierte Decke.
Der gelbe Saal hat seinen Namen von den Pfeilern der Empore erhalten, die in gelbem Siena-Marmor verkleidet waren. Besonderheit dieses sich über zwei Geschosse erstreckenden Raumes war die Empore, auf der Ankleidekabinen für Damen aus hell poliertem Eichenholz untergebracht waren. Später wurde der gelbe Saal der Theatersaal des Kunsthauses Tacheles.

Der erste Showroom

Bei einem Showroom denkt man an eine neumodische Bezeichnung für einen Verkaufsraum, aber bereits in den 1920er Jahren wurde das Konzept besonders prunkvoll umgesetzt. In das ehemalige Passage-Kaufhaus zog im Jahr 1927 der Elektrokonzern AEG mit seinen Schau- und Verkaufsräumen. Bis zum Jahr 1945 erhielt der monumentale Bau damit den Namen „Haus der Technik“. Allein 20 Schaufenster im Erdgeschoss wurden von der AEG belegt. Hinzu kamen über 10.000 Quadratmeter Verkaufs- und Büroräume. Die Sondersäle wurden für Ausstellungen der Produktpalette des Unternehmens genutzt. Es gab sogar Kundenberatung in einem eigens dafür ausgestatteten lichttechnischen Vorführraum und Schaukochen, um den Einsatz der modernen technischen Geräte zu demonstrieren.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude unter anderem als Artistenschule, als Kino und vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund genutzt. In den 80er Jahren wurde der Kuppelbau von der DDR-Führung gesprengt. Zur Wendezeit sollten dann alle verbliebenen Gebäude abgerissen werden, was von einer Initiative verschiedener Künstler verhindert wurde, die das Gelände dann als kulturelles Zentrum nutzten.

Ein neues Stück Stadt

Nachdem die Ruine des prunkvollen Warenhauses mehr als 20 Jahre lang als kulturelles Zentrum mit dem Namen Tacheles genutzt wurde, bricht nun ein neues Leben für das Areal an: Hier entsteht ein neues Stadtquartier, das zum Wohnen, Arbeiten und Einkaufen genutzt werden wird. Der Masterplan stammt von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron, die unter anderem auch die Elbphilharmonie in Hamburg, die Allianz-Arena in München oder das Nationalstadion in Peking entworfen haben.

Das neue Leben des AM TACHELES hat gerade begonnen: Die Bauarbeiten sind in vollem Gange und voraussichtlich im Jahr 2023 sollen das Stadtquartier fertig gestellt sein.

Erfahren Sie hier mehr zum AM TACHELES und VERT von Herzog & de Meuron, dem ersten von fünf verschiedenen Wohngebäuden.

Fotos:
Treppe AM TACHELES Showroom (1): Tim Krüger
Baustelle (2): Christian von Steffelin
Baustelle (3): Nils Schirmer

Quellen:
https://industrie-kultur.de/ik/2017/01/26/berlin-von-der-friedrichstrassen-passage-zum-tacheles-eine-fruehe-mall-und-ihre-wechselvolle-geschichte-fotoausstellung-im-deutschen-technikmuseum/
https://berlingeschichte.de/lexikon/mitte/f/friedrichstrassen_passage.htm
https://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/de/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09035146
http://www.bushtrash.de/bilder/tacheles/tacheles.htm